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Quo vadis Prüfungswesen?

Wie ist es möglich, 40 Jahre lang einen Kurs zu halten, dessen Ziele und Ergebnisse heute nicht bekannt sind?

Ganz einfach - es sind eben die Ziele, die in der Natur der Sache liegen, die bestimmenden und nicht jene, die alle paar Jahre geändert werden. Seemannschaft und Navigation haben sich nicht wesentlich geändert, Werkzeuge, Zugang, Einstellung sind anders geworden. Aber im Prüfungswesen weiß man halt noch immer nicht, was denn zu prüfen sei. Deshalb wird jetzt an einer neuen Prüfungsordnung gearbeitet, an Lernzielen, Fragenkatalogen, Kartenaufgaben, Checklisten, alles Dinge, die wir schon haben - und bis zum Überdruss gemacht haben.

1994 habe ich die erste umfassende Prüfungsordnung verfasst, damals als Prüfungsreferent des MSVÖ, das PFS94 (Prüfer- und Führerscheinstatut; Version 95/96 noch verfügbar) mit der Zielsetzung, das Prüfungswesen zu vereinheitlichen, fair und objektiv zu machen. Die Sache ist kontrovers aufgenommen worden, aber alle haben gewusst, es muss in diese Richtung gehen. Pessl und Jäger haben dann dieses Elaborat übernommen, es Schritt für Schritt geändert und für Ihre Zwecke angepasst.

Schon damals war es ein Problem, dass die Kandidaten von den Prüfungsfragen und Aufgaben immer wieder überrascht wurden - Ein Lernzielkatalog muss her!

Aber der leistet gerade das nicht, was am sehnlichsten erwünscht war - die detaillierte Definition der Prüfungsfragen. Damals, 1996, hatte ich schon einen Katalog mit etwa 1.800 Fragen, und eine Antwort auf die ständigen Reklamationen - Lernziele und Prüfungsfragen

In den 80er Jahren gab es einen B-Schein, gültig für FB2; der konnte nach weiteren 700 Meilen aufgewertet werden zum "erweiterten" B-Schein, FB3 also. Basis des Systems war, dass Ausbildung und Prüfung "FB3" waren, aber zunächst nur eine Berechtigung FB2 ausgestellt wurde. Das war seit 1981 zwar nicht gesetzeskonform, anfangs aber auch kein Problem: Die Teilnehmer waren SEGLER, mit Motivation, Erfahrung, Seemannschaft. Aber dann sind die Jachttouristen gekommen, und die Prüfungen wurden zum Desaster - und zur Qual für die meisten Prüfer. Damals ist dann die Parole aufgekommen: "Jeder Österreicher hat Anspruch auf einen Österreichischen Schein"; aber wie macht man das? Letztendlich ist das Prüfungs- (und damit das Ausbildungs-) Niveau heruntergesackt auf FB2  -  und damit war die "Erweiterung" eigentlich eine Farce.

Ich habe mich dann bemüht, dem abzuhelfen und mit dem Partner Jäger vom ÖSV war es möglich, die Fahrtbereiche (gesetzeskonform) zu trennen und eine FB3 Praxisprüfung einzuführen. Aber für die Prüfer war das zu schwierig - Was soll denn geprüft werden? war die Frage. 2007 wurde Jäger in einer üblen Aktion abserviert, und die Parole lautete dann: Wir müssen mehr Scheine ausstellen, wir müssen es leichter machen. Ja, und das wurde gemacht - und hat mich veranlasst, ein Pamphlet zum Versuch einer Rettung des Prüfungswesens zu verfassen, leider vergeblich.

Zwei Jahre und einige komödienreife Vorstellungen von Referenten später hat es dann gekracht und das Monopol von ÖSV und MSVÖ ist gefallen - die Weichen konnten neu gestellt werden - aber das Übel der abhängigen Prüfer wurde nicht behoben. Ja zum Österreichischen Führerschein, aber auch ja zu einem unabhängigen Prüferkorps war damals mein Credo.

Dann wurde ein gutes Jahr gearbeitet, den privaten Prüfungsorganisationen wurde der Weg geebnet und die Inflation ist losgebrochen - wie nicht anders zu erwarten und wie von mir prognostiziert. Mitte des Jahres 2012 ist die neue Regelung in Kraft getreten, und nach dem Sommer waren die Ergebnisse schon da: Das neue Prüfungswesen war ein Absturz in die "Gleichgültigkeit". So konnte es nicht weitergehen - habe ich zumindest geglaubt - und ein Kurzreferat bei der Prüfertagung der WSVO gehalten.

Ja, aber es half alles nichts. Und weil die Behörde sich 2012 selbst den Auftrag erteilt hat, eine Prüfungsordnung vorzugeben, wenn die privaten Prüfungsorganisationen nicht einig werden, ist es wieder soweit: Eine neue Prüfungsordnung, mit neuen Lernzielen, Fragenkatalogen, Kartenaufgaben, (hoffentlich nicht Checklisten), soll entstehen.

Aber die Grundübel werden nicht angerührt - zumindest nicht im ersten Vorschlag.

Ich habe mich 2010 dann von den Vorgaben gelöst und meinen eigenen Standard "definiert", jetzt aber natürlich mit dem Problem, einerseits unterrichten zu WOLLEN, was wichtig und notwendig ist, andrerseits aber natürlich auch den gesamten Lern- und Prüfungsstoff laut offizieller Prüfungsordnung unterrichten zu MÜSSEN - eine Sache, die immer schwieriger wird. Ja, es wird immer mehr, wenn man mehr will, als "wassercampen" (eine treffende Definition von meinem langjährigen Segelfreund Andreas Hanakamp).

Am 14. Jänner 2015 wurde der Vorschlag der neuen PrO-Jacht veröffentlicht und die Begutachtungsphase eingeleitet. Hier meine Stellungnahme und die Kommentare zur PrO-Jacht, zur Anlage 3 (Lernzielkatalog) und zu den 5.000 FB4-Meilen für Prüfer.

Die PrO-Jacht 2015 trat dann in Kraft, und sie hat uns mit ihren unsinnigen Forderungen und Widersprüchen das Leben schwer gemacht. Interessant für mich war dabei, dass auch von an sich ernstzunehmenden Beteiligten nur geduckt wurde, jeder Unsinn akzeptiert, kein Versuch unternommen, gegen die absurden Textstellen anzukämpfen. In langwierigen und mühsamen Schriftwechseln habe ich zumindest 2 Probleme klären können:

- Kann man in einer Nacht 2 Häfen ansteuern?

    Ja, man kann. Aber erst nach mehreren Monaten Diskussion. Und keine Prüfungsorganisation war in der Lage, das Thema zu klären, ich musste es machen.

- Warum gilt in Österreich der Solent, ein Zentrum der Gezeitennavigation, nicht als Tidengewässer?

    Auch das habe ich mühsam klären müssen und erreicht, dass unter bestimmten Umständen Törns im Solent, Southampton, Portsmouth, Gosport, Cowes, .. in Österreich gültige Gezeiten-Meilen bringen.

Diese Dinge waren so absurd, dass sich Änderungen geradezu aufgedrängt haben, aber die Behörde schwieg (eigentlich hat sie abgewiegelt). Ende 2017 wurde die Behörde dann doch wieder aktiv, mit einem Meisterstück an Entscheidungsfähigkeit: Es wurde beschlossen, dass eventuelle Änderungen nur aufgrund von Vorschlägen Betroffener - dann natürlich mit genauer Prüfung durch die Behörde - in eine Verordnungsänderung aufgenommen werden. Und hier zeigte sich wieder besonderes Feingefühl: Es wurde eine Arbeitsgruppe etabliert, bestehend aus Vertretern der 15 bestehenden "Prüfungsorganisationen", die dann der Behörde abgestimmte Vorschläge zu unterbreiten hätte. Dazu muss man wissen, dass jeder, der die nötige "Infrastruktur" zur Verfügung stellen kann, auf Basis des § 15 SeeSchG eine auf 5 Jahre befristete Ermächtigung erhält, privatrechtlich (= selbst) ausgestellte Führerscheine bei der "viadonau" einzureichen und dann die Ausstellung eines behördlichen Scheins, des "International Certificate", IC, zu beantragen. Die Prüfungsorganisation muss nur formale Kriterien erfüllen, eine Überprüfung fachlichen Wissens gibt es nicht. Allerdings gehört zu den Formvorschriften, dass ein Kader aus geeigneten Prüfern verfügbar sein muss, und diese Prüfer müssen Erfahrung (Meilen und Tage) nachweisen können. Sonst brauchen die Prüfer nichts zu können; ein "Hearing" oder ähnliches gibt es nicht. Und - die Prüfungsorganisationen, nicht die Prüfer, diskutieren in der Arbeitsgruppe. Wenn es zu keiner einheitlichen Meinung in der Arbeitsgruppe kommt, dann  ...  wird über einen Punkt "demokratisch" abgestimmt und bei einer Mehrheit von 80 % gilt der Punkt als einheitlich vorgeschlagen. Innerhalb der 15 Organisationen gibt es 2 Gruppen: Eine Gruppe von Personen, die schon jahrelang tätig sind, und die Interesse haben, das Prüfungsniveau relativ hoch zu halten; und eine zweite Gruppe von Neueinsteigern, die sich seit 2012 (Einführung der privaten Organisationen) mit Prüfungen beschäftigen und die direkt aus dem Bereich der Schein-Ausbilder kommen. Hier geht der Wunsch dann Richtung Vereinfachung, Erleichterung, Trennung von verzopften Inhalten, aber natürlich unter Beibehaltung allen für die Sicherheit notwendigen Wissens. Das Verhältnis war 3:12, und die Vorschläge lauten dann hauptsächlich:

Für Prüfer 5.000 Meilen, egal, was sie prüfen oder machen

Für Kandidaten wenig Meilen, keine Logbücher, einfach selbst erklären, dass man es kann

Eine einfache Praxisprüfung für den Bereich FB2, die dann auch für FB3 gilt

Alle theoretischen Fragestellungen, die in der Adria nicht gebraucht werden (oder die die Prüfungsorganisationen und ihre "Schulen" nicht kennen und nicht vortragen wollen) kommen in den FB3 oder gar FB4

Diese Basis der Entscheidungen führte dann zu völlig absurden Forderungen, die ich kommentiert habe. Es war so arg, dass die Behörde dann doch ein bisschen der Mut verließ, und man kam auf die moderne Idee, im Rahmen einer Internet-Diskussion von Jänner bis Februar 2018 die einzelnen vorgeschlagenen Punkte bewerten und mit Kommentaren versehen zu lassen. Hier war natürlich kein Raum für vernünftige Vorschläge mehr gegeben, man ist fixiert auf kosmetische Änderungen der bereits vorgegeben Texte, und dort noch auf ein paar Hundert Buchstaben begrenzt. Damals habe ich versucht, einzelne Punkte zu bearbeiten und dann doch einen zusammenhängenden Text zu übermitteln. Mir wurde behördlicherseits gedankt. Das darauf folgende Elaborat, geplant zuerst für März 2018, erschien dann überraschend im September 2019 als Begutachtungsvorschlag für eine Jacht-Verordnung 2019 (JachtVO, ein Keulenschlag für jeden, der eine vernünftige Ausbildung machen möchte. Ich habe dann so reagiert, und hier noch die Vorgaben, falls es Sie interessiert.

Und jetzt sehen wir weiter.

Am 20.5.2020 ist dann - für die meisten überraschend - die neue Jachtverordnung 2020 in Kraft getreten. Detaillierte Prüfungsvorgaben und vorgeschriebene Fachausdrücke in der Verordnung - falsch strukturiert und widersprüchlich - führen jetzt dazu, dass die Entwicklung von Prüfungsbeispielen, die einerseits vernünftiges Wissen abprüfen, andrerseits aber den Forderungen des Z genügen sollen, zu einem fast unlösbaren Problem geworden ist.